Die Bezeichnung „taubstumm“ ist stark veraltet und wird von uns Gehörlosen als diskriminierend empfunden. Warum? Ganz einfach: Wir sind nicht stumm! Unsere Erstsprache ist die Gebärdensprache, eine visuell-gestische Sprache. Die korrekte Bezeichnung lautet „gehörlos“. Kommunikation ist in unterschiedlichen Formen möglich. Gebärden, schreiben, manche von uns sprechen mit Stimme, manche nicht. Das ist ganz unterschiedlich und individuell. Aber stumm sind wir keinesfalls!
Übrigens:
Die Aneignung der Lautsprache ist für uns Gehörlose sehr mühsam und anstrengend. Wir können unsere Aussprache nicht über das Gehör kontrollieren. Für Hörende wirkt das anfangs meist ungewohnt oder undeutlich.
Gebärdensprache gibt es weltweit!
Sprache & Kultur ist miteinander verflochten. Sprache prägt unser Denken, Handeln und Fühlen. Sprache ist Teil unserer Identität. Die Erstsprache von uns Gehörlosen ist die Gebärdensprache. Von vielen Hörenden wird oft angenommen, dass die Gebärdensprache international ist. Das Gegenteil ist der Fall: weltweit gibt es etwa 200 unterschiedliche Gebärdensprachen. Alleine im deutschsprachigen Raum gibt es zum Beispiel die Österreichische, die Deutsche und die Schweizer Gebärdensprache.
Übrigens:
Die Österreichische Gebärdensprache wurde 2005 als eigenständige und vollwertige Sprache verfassungsrechtlich anerkannt.
Unser Tipp:
Brich das Eis und lerne die Basics der Gebärdensprache. Interessiert? Für die alltägliche Kommunikation in der Arbeit haben wir ein Lexikon produziert.
Nein. Das Fingeralphabet ist aber ein wichtiger Bestandteil jeder nationalen Gebärdensprache. Es wird hauptsächlich für Eigennamen verwendet. Es dient aber auch als Brücke für Ausdrücke, für die es noch keine Gebärde gibt. Das Fingeralphabet ist übrigens sehr schnell erlernbar. Aber klar, die Reichhaltigkeit unserer Sprache findet weiterhin auch in den nationalen Varianten des Fingeralphabets ihren Ausdruck.
Unser Tipp:
Das Fingeralphabet ist schnell erlernbar und eine perfekte Fingerübung für das Erlernen der Gebärdensprache. Gleich hier gibts den Link!
In den Gehörlosengemeinschaften werden eigene, individuelle Gebärdennamen (Namensgebärden) verwendet. Die Verwendung von Namensgebärden ist Teil unserer Gehörlosenkultur. Die Gebärdennamen beziehen sich meist auf äußerliche oder charakterliche Besonderheiten einer Person oder stehen in Verbindung mit speziellen Interessen, Vorlieben oder Gewohnheiten.
Anregung:
Welche Namensgebärde würde zu Dir passen?
Unser Tipp:
Frag beim Kennenlernen auch immer nach dem Gebärdennamen!
Gestik und Mimik sind Bestandteil einer jeden Sprache. Sie transportieren wichtige Informationen und sind enorm hilfreich, einander besser zu verstehen. Bleib in Deiner Gestik und Mimik ganz natürlich, aber setze sie bewusst ein!
Sei dir bewusst:
Mimik und Gestik sind übrigens auch grammatikalischer Bestandteil von Gebärdensprachen.
Unterstütze das, was Du sagst durch Deine natürliche Körpersprache. Um einander in unserer Körpersprache gut wahrnehmen zu können, ist ein gewisser Körperabstand zueinander wichtig.
Hierfür braucht es kein Maßband, nur ein wenig Gespür.
Die Mundbewegungen abzusehen (auch Lippenlesen) genannt, ist nur ein Hilfsmittel. Mit „Lesen“ hat das rein gar nichts zu tun. Für Hörende ist es natürlich die einfachste Brücke in der Kommunikation mit uns, sich vom Mund ablesen zu lassen, für uns Gehörlose ist es die wohl schwierigste Form, miteinander zu kommunizieren.
Stell Dir einfach vor, Du gehst auf ein Konzert, freust Dich auf die Komposition und das Zusammenspiel der unterschiedlichen Instrumente. Die MusikerInnen spielen nach Notenblättern, in denen nur maximal 30 % der Noten aufgezeichnet sind. Das klingt nach einem Abend purer experimenteller Musik. Anstrengend, oder!? Wüsstest Du überhaupt, welches Stück Du gehört hast?
Jeder spricht anders, d.h. jeder produziert eine andere „Lippenschrift“.
Schnellredner, jene, die kaum ihren Mund bewegen beim Sprechen oder jene, die sehr übertrieben sprechen, das Verwenden von Füllwörtern uns so weiter. Das alles ist Teil Deines persönlichen Ausdrucks und Deiner Körpersprache. Und das ist gut so und völlig o.k. - für uns ist es oftmals aber ein zusätzliches Hindernis beim Verstehen.
Hinzu kommt, dass viele Wörter/Begriffe auch vom Mundbild kaum zu unterscheiden sind.
Probiere es einfach mal selbst aus: Dreh beim Nachrichten schauen den Ton ab. Du schaust dann vom Mund ab von professionellen NachrichtensprecherInnen, die deutlich und klar sprechen — also keine zusätzlichen Hindernisse parat halten. Wieviel kannst du verstehen?
Absehen kann man immer nur einen Teil davon. Der Rest muss durch Kombinieren ergänzt werden.
Tipp:
Lippenlesen ist keine Sprache!
Sprich bitte in normaler Lautstärke. Sehr lautes Sprechen oder gar Schreien nützt nichts! Im Gegenteil: Schreien verzerrt das Mundbild! Es ist oft ein automatischer Impuls: Immer wenn man das Gefühl hat nicht verstanden worden zu sein, fängt man an, lauter zu sprechen. Geh einmal in ein Alters- oder Pflegheim — es geht sehr laut dort zu! Das „gut gemeinte“ lauter sprechen oder gar schreien ist speziell auch für jene, die Hörgeräte tragen, oftmals sehr unangenehm. Besser verstehen tut man durch das Schreien aber nicht.
Gut zu wissen:
Sprich bitte in normaler Lautstärke. Ohne Stimme Sprechen geht natürlich auch!
Ja! Sprich bitte etwas langsamer und deutlicher. Aber: Übertreib es nicht!
Warum nicht übertreiben?
… weil zuuuuuuuu laaaaaaaangsaaaaaameeeeees Spreeeeeeecheeeeen oder ÜBERDEUTTTLICHHE Aussprache verzerrt das Mundbild ebenfalls.
Es hilft sehr, wenn Du klar und deutlich sprichst und Dialekte vermeidest. Auch Kaugummi kauen, rauchen oder essen während des Sprechens usw. sind Verstehens-Bremser.
Nicht böse gemeint:
... wenn zu schnell gesprochen wird, ähnelt das Mundbild dem eines Meerschweinchens 🙂
Wir reden drauf los im Glauben, alle anderen wissen ohnehin worum es geht. Aber weder Hörende noch wir Gehörlosen sind fähig, Gedanken zu lesen. Nenne einfach zu Beginn der Unterhaltung das Thema, worum es eigentlich geht. Das Gespräch wird dann von Anfang an besser verstanden werden.Themenwechsel während eines Gesprächs: Bei A anfangen, über sieben Ecken bei Z ankommen: Oft werden innerhalb des Gesprächs die Themen gewechselt (vom 100sten ins 1000ste). Teile einfach mit, wenn Du das Thema wechselst.
Du kennst sicherlich das Gefühl, wenn Du etwas im Gespräch nicht verstanden hast. Das kommt vor und wir alle geben ungern zu, wenn wir etwas nicht verstanden haben. Und wir alle wissen, wie oft wir etwas nicht verstehen (auch wenn wir dieselbe Sprache verwenden). Am besten ist es, sich gegenseitig zu vergewissern, ob alles auch richtig verstanden wurde. Bitte auch keine Scheu vor Nachfragen oder schriftliche Notizen. Es ist besser, etwas zu wiederholen, bevor Missverständnisse entstehen.
Sich bewusst sein:
Missverständnisse müssen nicht sein!
Es geht nicht darum, sich gegenseitig Romane zu schreiben. Papier und Stift sind sehr wichtige Kommunikationsmittel und helfen, sich gegenseitig zu verstehen. Und: Willkommen im 21. Jahrhundert! Auch Email, SMS, What‘s App und Chatprogramme sind gängige Kommunikationsmittel.
Gut zu wissen:
Die jeweilige nationale Schriftsprache ist für uns eine Fremdsprache/Zweitsprache. Unsere Muttersprache und Erstsprache ist die Gebärdensprache, die visuell-gestisch ist. Gebärdensprachen gehören zur Gruppe der nicht-schriftlichen Sprachen. Auch die Grammatik ist sehr unterschiedlich zu den Laut- und Schriftsprachen.
Wenn Du etwas aufschreibst ...
Je klarer, desto besser.
In der Kürze liegt die Würze.
Vermeiden Sie komplizierte oder verschachtelte Sätze.
Vermeiden Sie Fremdwörter.
Nicht vergessen:
Kommunikation ≠ schwarz & weiß
Die Kommunikation ist auf Sichtbarkeit ausgerichtet.
Achte darauf, dass wir miteinander direkten Blickkontakt halten. Wir können nicht sehen, was hinter uns gesprochen wird. Hörenden ist es oft auch nicht bewusst, wie oft sie sich in einem Gespräch wegdrehen oder auf den Boden schauen. Kommunikation ist nicht nur eine Weitergabe von Informationen, wir stellen dadurch auch ein soziales Miteinander her. Das gilt für Lautsprachen im gleichen Sinn wie für Gebärdensprachen.
Nicht vergessen:
.. nicht um- oder wegdrehen während Du
mit uns kommunizierst!
In der Gehörlosenkultur ist es üblich, sich durch Winken auf sich aufmerksam zu machen. Eine weitere Möglichkeit ist auch, sich kurz und leicht am Oberarm oder an der Schulter zu berühren. Es ist Teil unserer Kommunikationskultur und wird von uns nicht als Belästigung empfunden.
Unser Tipp:
Manches Mal hilft auch ein Lächeln, um aufeinander aufmerksam zu machen 🙂
Licht ein- und ausschalten
Kurz das Licht ein- und auszuschalten ist ebenfalls eine gute Möglichkeit, um auf sich aufmerksam zu machen. Auch wenn es für Dich ungewohnt erscheinen mag, für uns ist es ein sehr klares optisches Signal, das wir sofort wahrnehmen.
Probiere es einfach in einer Teambesprechung aus – auch wenn niemand im Team gehörlos ist. Du wirst sehen, es funktioniert auch wunderbar ohne Worte, auf sich aufmerksam zu machen.
Etwas langsamer sprechen, klar und deutlich soll es sein, sich nicht wegdrehen während der Kommunikation und so weiter — mühsam??? Unsere Tipps sollen die Kommunikation miteinander erleichtern und unterstützen. Es soll Dich aber nicht völlig aus dem Rhythmus bringen. Oft werden diese Tipps in gut gemeinter Form sehr übertrieben praktiziert. Es ist dann für beide Seiten anstrengend. Für Dich, weil Du das Gefühl bekommst, auf dieses und jenes dauernd achten zu müssen, für uns ebenso, weil wir das Gefühl bekommen, dass Du in der Kommunikation sehr angestrengt bist.
Sich einfach immer bewusst sein:
Wir nehmen Sprache über das Sehen, nicht über das Hören wahr.